Der Riese, die Türkei und was so passiert

Ein Land vor mir zu wissen, in welchem ich circa die gleichen Kilometer zurücklegen werde, wie ich von Deutschland bis nach Griechenland habe, ist irgendwie eine verrückte Vorstellung. Was aber auch zeigt, dass wenn man über die Kultur der Türkei redet, man unmöglich von der „einen“ türkischen Kultur reden kann.

Seit Betreten der Türkei bestärkt sich das Gefühl, in mir mit jedem Tag in einer neuen Welt unterwegs zu sein. Schon die kleinen Dinge, dass die Fahrbahnbegrenzungsstreifen, auf den durch die Hitze verformten Teerstraßen, in diesen prägnanten gelben Farben den Weg leitet.

Aber natürlich ist es vorwiegend die Kultur, die sich nicht nur in den Menschen, sondern auch in deren Umgebung, die sie aufgebaut haben, zu erkennen ist.

Das Land vermittelt mir, oder vielleicht entsteht dieser Gedanke auch nur in meinem Kopf, eine nicht ganz für mich greifbare Weite, in der ich als gen Osten Zweiradreisender, nur ein winziger Punkt auf der Landkarte bin. Ein fremdes Wesen, das durch seine langsame Art der Fortbewegung, auf eine intime Art und Weise in diesem Land zu Gast sein darf.

Angekommen in der Türkei, haben Sophie und ich die erste Nacht auf einem Campingplatz noch gemeinsam verbracht, bevor wir zunächst unsere eigene Wege durch das Land suchten.

So gab es morgens noch ein gemeinsames Foto und ein paar erste Rollmeter gemeinsam. Ab der ersten Landstraße hieß es dann für mich „Druck auf die Pedale und Kopf nach unten“.

In diesem Teil der Türkei stehen einige alte griechische Tempel, welche noch hunderte Jahre v. Chr. erbaut wurden. So auch der Tempel der Artemis in Ephesus, dessen Gegend ich mir als ungefähres Tagesziel gesetzt hatte. Da ich an diesem Tag gut durch gekommen bin, dachte ich mir, könne ich mir den Tempel doch auch anschauen. Ungläubig habe ich vor Ort ein paar Locals gefragt ob ich die Preisschilder denn richtig interpretieren. Denn so wie ich sie verstand sollte der Eintritt für türkische Menschen 60 TRY (ca. 1,70 €) und für alle anderen 40 € betragen. Dass UNESCO, die hier seine Finger im Spiel hat, solche Preisgestaltungen aufruft, hat mich etwas verwundert. Nun gut, es wurden dann also andere alte Steine, welche ich mir in den folgenden Tagen anschaute.

Ein Anstieg zu einem, Bergdorf, welcher nochmal Muskelkraft für die letzten 400 Hm aus meinen Beinen zog, sollte dann neben einem netten Restaurant der Ort für diesen Tag sein, an dem ich mein Zelt aufbaute.

Zu diesem Restaurant in den Weinbergen gehörten auch ein paar Picknickbänke, auf denen zwei Familien einen Grillabend verbrachten. Die beiden Töchter einer dieser Familien, ließen sich es dann nach der x-ten Rakji Runde nicht nehmen, mein schüchternes Gemüt zum Tanzen auf traditionelle türkische Musik zu überreden. Bevor Nachfragen kommen: Fotos oder gar Bewegtbildmateriel existieren auf gar keinen Fall. Aber weder an diesem Abend noch an den darauffolgenden Tagen, hatte ich das Gefühl eine muslimisch konservative Gesellschaft vorzufinden. OK, in den Cafés sind es eigentlich wirklich nur Männer, die ihren Çay trinken.

Nachdem es in der vergangenen Nacht so gut mit der Schlafplatzsuche bei Restaurants funktioniert hat, dachte ich mir, bei diesem Plan zu bleiben.

Ich suchte mir also eine ländliche Gegend aus, in der es ein paar Restaurants und Cafés mit ausreichend Platz und Garten zu geben scheint, und machte mich auf den Weg.

An diesem Tag sollte ich nun meine alten Steine, zu etwas anderen preislichen Konditionen sehen, die langen geraden Landstraßen der Türkei kennenlernen, wie auch die Çay-Kultur des Landes mögen lernen.

Am Abend bin ich in einem unscheinbaren Dorf in der Nähe des Bafa Sees angekommen. An dem einzigen Café in diesem kleinen Dorf fragte ich den Inhaber, mithilfe von Google-Translate, ob er einen Platz kenne, wo ich mein Zelt für diese Nacht aufstellen könne. Ismael antworte, ohne lang darüber nachzudenken, dass ich gerne in seinem Café übernachten kann. Er schenkte mir wirklich vom ersten Moment an sein vollstes Vertrauen, schon nach kürzester Zeit bewegte ich mich in seinem Garten-Café nicht mehr wie ein Gast, viel mehr wie ein Freund.

Ismael kümmert sich sehr um sein Café. Auch wenn die meisten Dinge schon alt und abgegriffen sind, so war doch alles gepflegt und immer aufgeräumt und an seinem Platz. Morgens und abends fegte er den riesigen Außenbereich und spülte ihn mit viel zu viel Wasser so dass alles sauber war. Mit diesem Gartenschlauch baute er mir nach meiner Ankunft auch eine Dusche im Toilettenraum.

Nachdem ca. um 20 Uhr die letzten Gäste und dann auch Ismael das Café verlassen haben, habe ich im hinteren Teil des Cafés mein Zelt aufgebaut und noch ein Bier getrunken, welches ich mit am Nachmittag im Markt gekauft hatte. Anschließend legte ich mich in mein Zelt, in der Gewissheit einen guten Schlafplatz gefunden zu haben. Sogar der Muezzin ließ es sich nicht nehmen, mir genau in dem Moment, als ich die Augen schloss mir aus der Luftlinie 20 m entfernten Moschee noch ein ohrenbetörend lautes Gutenachtlied zu schmettern.

Der Muezzin singt

Diese Nacht war von sehr viel Hundegebelle geprägt, wie sehr viele Nächte in der Türkei. Der Grund hier waren aber die echt vielen Wildschweine, die nachts in dem Dorf unterwegs wagen.

Am nächsten Tag wurde ich morgens spontan von einem Freund (Levis) von Ismael zum Frühstücken mit seiner 87 Jahre alten Mutter eingeladen. Wir bereiteten also gemeinsam ein türkisches Frühstück und genossen es in Levis Garten. Die alte Dame warf mir während des Frühstücks, was dann schon mein Zweites für diesen Tag war, immer wieder Küsse zu und sagte zu Levis, der auch etwas Deutsch kann, fortlaufend, was sie von mir hält… es waren wohl überwiegend positive Worte.

Zwischen all dem, habe ich der Damen, welche sich im Dorf um die Straßenhunde kümmert, noch geholfen einen über die Nacht verstorbenen Hund zu begraben und in das ausgehobene Grab zu legen.

Da ich entschlossen hatte an diesem Tag nicht mehr weiter zufahren, machte ich noch einen Ausflug mit dem Rad nach Kapıkırı, dem Antikhafen Herakleia. Dort am Strand gab es keine Möglichkeit, die sehr aufdringliche aber überfreundliche Einladung von 3 Damen, die am Strand ihr Picknick aufgebaut hatten, abzulehnen. So verbrachten wir eine Stunde mit google-Translate und sehr sehr viel Gelache.

Als ich zurück im Café von Ismael war, ist mir aufgefallen, dass die leere Bierflasche des gestrigen Abends nicht mehr, im sonst noch vollen Mülleimer, lag. Ismael sagte mir auch, dass ich hier bitte kein Alkohol trinken sollte. Den Grund habe ich dann später bei seinem Sohn erfragt:

In meinem Umkreis von 150 m um die Moschee darf kein Alkohol getrunken werden, das gepaart mit der nicht vorhandene Alkohol Lizenz des Cafés, hätte zu einem kleinen Problem werden können, wenn ich beim Alkohol trinken gesehen worden wäre. Und das nicht für mich, sondern für Ismael.

Eine weitere gute Nacht wartete auf mich. Ich habe Ismaels Sohn, der ein wenig Englisch kann, gefragt was ich für Ismael Gutes tun kann, dass er mich so liebevoll hier aufgenommen hat. Er antwortete mir „nothing, he loves you, otherwise he would not allow you to sleep here”.

So habe ich mich also am folgenden Morgen mit den aufrichtigsten und dankbarsten Worten und Gesten bei ihm verabschiedet.

Das war nun eine Geschichte, welche ich mit etwas mehr Details erzähle. Doch es gäbe noch einige weitere Momente der letzen Tage, welche es wert währen, hier zu erwähnen. Alleine die Landschaft und die allgemeine Kultur mit all dem leckeren Essen hier in der Türkei würde viele Bildschirmseiten füllen können. Unter anderm war ich noch für 2 Tage auf einem Bike Festival auf einem Campingplatz mit 300 türkischen Radfahrern. War spannend kennen zu lernen wie die Türken so Rad fahren… Anders als die Deutschen, wenn man das so verallgemeinern kann.

Gerade sitze ich etwas verkatert in einem Café in Antalya, da mich gestern Abend bereits beim Zusteuern auf mein Hostel ein Radreise-Pärchen, hier aus Antalya, abgefangen hat, und mich kurz um gefragt hat, ob ich nicht zum Abendessen vorbeikommen wollte. Also im Hostel eingecheckt und nach einer guten Dusche saßen wir bei gutem Essen und sehr viel Rakji des Vaters, auf dem Balkon im 5ten Stock der beiden mit Blick über Antalya und tauschten unsere Radgeschichten aus. Brian (gebürtiger Amerikaner) war schon wirklich sehr viele, eigentlich auf der ganzen Welt mit dem Rad unterwegs. Das hier eine Weltkarte, die im Flur hängt, mit Pins, wo er und seine Frau schon waren.

Der Abend endete spät aber gefüllt mit echt netten Unterhaltungen und einigen Tipps für meine noch vor mir stehende Reise in der Türkei.

2 + 1/2 Monate bin ich nun fast unterwegs. Seit ein paar Tagen verspüre ich zum ersten Mal, dass ich es gerade sehr genießen würde zu Hause zu sein, in einer gewohnten Umgebung, mit Menschen, die ich mag und die ich auch vermisse. Egal, ob es mit Familie oder Freunden Zeit verbringen ist, auf dem Rad mit den Schotterradbanden Mädels und Jungs oder alleine in meinem Bauwagen. Das ist eine vollkommen unvollständige Aufzählung von Dingen, die ich gerade besonders spüre, dass sie mir viel Wert sind und sie es wert sind sie zu vermissen.

Vor 3 Tagen erhielt ich mittags einen Anruf von meiner lieben Reisefreundin Sophie, die ich hier schon ein paar mal erwähnt habe und ich gerade zuvor zum 7ten mal auf meiner Reise verabredet auf einem Campingplatz getroffen habe. Sie ist mit dem Rad gestürzt und lag gerade im Krankenhaus. Ich war der Erste den sie anrief. Das war wirklich ein Schock und macht mich nun doppelt vorsichtig, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin. Ihr Handgelenk ich gebrochen und ein paar weitere Blessuren blieben auch nicht aus. Zumindest die Reise auf dem Rad ist nun für sie vorbei. Doch sie ist wohl auf und in guten Händen, von den lieben Menschen auf deren Campingplatz wir gemeinsam waren. Es ist sehr traurig zu wissen, dass wir uns wohl zukünftig, auf dieser Reise, nicht mehr treffen können. Auch wenn wir bisher nie gemeinsam Rad gefahren sind, so war es immer etwas Vertrautes wenn wir uns an einem Ort abends getroffen und uns über unsere Erlebnisse und Gedanken ausgetauscht haben. Vielen Dank, Sophie (Das schreibe ich mit Tränen der Traurigkeit aber auch der Freude in meinen Augen)

Nach meinen letzten Tagen, welche ich im schönen Südwesten der Türkei verbracht habe, werde ich morgen, oder vielleicht auch erst übermorgen, das entscheide ich noch im Laufe des Abends, die Küste verlassen und in das Inland rollen. Wo wieder sehr sehr viele Höhenmeter auf mich warten. Bisher kommen auf meine 4.789 km 61.070 hm (1,28%) das ist ein ganz ordentlicher Schnitt, der sich wohl auch nicht so schnell nach unten ändern wird. Doch ich freue mich schon bald eine neue Seite der Türkei zu sehen. Komoot sagt mir, dass der direkteste Weg von Antalya bis Georgian noch ca. 1400 km sind. Ich denke mal es werden bestimmt um die 2000 km werden. 3 Wochen werde ich wohl also noch in diesem Land verbringen. Kommt vielleicht auch drauf an wie viele von solchen Raki-Abenden ich auf der Strecke noch haben werde 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare

3 Antworten zu „Der Riese, die Türkei und was so passiert“

  1. Hodfo

    Super Superklasse.
    Wieder mal eine toller Bericht.
    Da kann man leicht feuchte Augen bekommen.
    Gute Fahrt wünsche
    und weiter solch tolle Begegnungen wünsche ich Dir!!

  2. Bembelpetzer

    Schön erzählt und richtig viele tolle Foddos!

    1. Danke du Suffkopp, dessen Name ein Geheimnis bleibt.