Die Reifen zurück auf europäischem Boden

Losrollen in Richtung „Zuhause“, vielleicht unterwegs ein paar Tage an der Donau entlang, um Meter zu machen. Weiter hat meine Planung richt gereicht, als ich am Morgen vor meiner Abreise in Burgars (Bulgarien) und meinen ersten Meter auf diesem neuen Abschnitt meiner Reise stand.

Ich peilte also einfach mal Sofia (Hauptstadt von Bulgarien) an, einfach weil ich keine bessere Idee hatte.

Bulgarien machte es mir leicht zu erkennen, dass ich mich in einem europäischen Land befand. Viele große Tafeln weisen darauf hin, dass in den vergangenen Jahren viel EU Subventionsmittel in dieses Land geflossen sind, was nicht zuletzt auch an dem flächendeckenden 5G-Netz zu bemerken war. Es waren aber auch schlagartig die Preise, die mindestens doppelt so hoch waren wie noch in Georgien oder der Türkei.

In den folgenden 4 Tagen schraubte ich mich auf meinen, in Burgas neu aufgezogenen Reifen (Schwalbe Overlands 28×2.0), welche ich schon aus Georgien in einem Radladen in Burgas vorbestellt hatte, durch das ganze Land, über das Zentralbalkan Gebirge bis zur serbischen Grenze.

Sofia habe ich letzten Endes garnicht angesteuert und mich stattdessen entschieden ein paar mehr Höhenmeter zu fahren und mich durch das, die Mitte des Landes durchziehende Zentralbalkan Gebirge, zu schieben. Eine tolle Route, die ich gewählt hatte mit vielen schattigen Wäldern. Das war in diesen Tagen besonders wichtig, da es die Tage der südeuropäischen Hitzerekorde für dieses Jahr waren und der Süden von Bulgarien derzeit mit sich immer weiter ausbreitenden Waldbränden zu kämpfen hatte.

Als ich aus den Wäldern herausgefahren war, war es dann also kein langer Weg mehr, bis ich zum ersten Mal auf die Donau stieß, welcher ich dann flussaufwärts folgte, um nach Serbien zu gelangen.

An dem Tag meiner Grenzüberschreitung nach Serbien fuhr ich bis nach Negotin. Aus 2 Gründen wollte ich dorthin. 1.: Dort befindet sich eine Unterkunft, die seit vielen Jahren von einem passionierten Radreisenden betrieben wird und 2., weil in dieser Kleinstadt Bane, der Serbe, den ich auf der Fähre kennengelernt habe, lebt. Naja und 3. weil ich mal einen Pausetag brauchte. Die letzten Tage waren lang und sehr heiß und ich fühlte mich etwas ausgelaugt.

Bane kam mich noch am selben Abend besuchen und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Und dieser Tag war sehr passend für meinen Körper und meinen Kopf. Wir haben die alten Weindörfer in der Umgebung besucht und am Nachmittag, da Bane Imker ist, noch ein paar Gläschen Honig geschleudert, dass ich für den Rest der Reise noch ein Glas voller gold klebriger Erinnerung für mein morgendliches Frühstück bei mir hatte. Bane nahm sich also wirklich den gesamten Tag Zeit für mich. Ein sehr netter bodenständiger Kerl.

Und so langsam wurde es ernst. Auch wenn ich die folgenden Tage, die ich durch Rumänien, Ungarn und Serbien gefahren bin, mit wirklich heftigem Gegenwind gekämpft habe und mich das an so mancher Nachmittagsstunde wirklich mehr Nerven gekostete als ich hatte, so verbuchte ich diese Stunden als Lehrstunden im Umgang mit unangenehmen Situationen. Aber ich war so verdammt genervt. Ich habe eine innerliche Motivation 2000 Höhenmeter am Tag zurückzulegen und mich die steilsten Rampen hochzuquälen und kann sagen, dass ich sogar noch Spaß dabei habe. Wenn der Gegenwind mich jedoch zwingt, trotz heftigem Druck auf den Pedalen und tief in meinen Aerobars liegend, nicht schneller als 20 km/h rollen zu können, wächst in mir innerlich eine riesige Wut. Ich Frage mich auf wen? Ein wenig Entschädigung bot mir dann die Landschaft, also die Donau, die sich in dieser Region durch enge Schluchten schiebt und immer wieder ein malerisches Bild abliefert.

Auf meinem Weg Richtung Deutschland wurden meine Tageskilometer immer mehr. Mein Kopf war von den zurückliegenden Wochen und Monaten sehr gut gefüllt mit all diesen Eindrücken, dass ich merkte, dass ich auch nicht mehr so erpicht war, mir irgendwelche weiteren Sehenswürdigkeiten anzuschauen, auch wenn die Landschaft an der Donau mich sehr positiv überrascht hat. Ich genoss es eher einfach auf dem Rad unterwegs zu sein, meine Routinen mit Schlafplatzsuche, Aufbauen und Abbauen zu haben und im Zelt zu schlafen, ohne an wilde Hunde oder sonstiges Getier denken zu müssen.

Wo ich in Georgien noch der Radreisende war der dort seine Reise „beendete“ und umdrehte, so war ich hier der verrückte Radreisende, der so weit gefahren ist.

Radreisender X: „Wo fährst du hin?“
Ich: „Ich bin auf dem Weg nach Hause.“
Radreisender X: „Wo kommst du her?“
Ich: „Darmstadt“
Radreisender X: „Von Ungarn bis nach Darmstadt willst du fahren? So weit? Wirklich??“
Ich: „ja, die Strecke fahre ich noch gerne“

Solche oder ähnliche Unterhaltungen hatte ich viele. Nicht immer wollte ich jedem auf die Nase binden, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon ca. 10.000 km auf dieser Reise gerollt bin. Weil ich bestimmt nicht deren Radreisen die meist 1-3 Wochen geplant waren, in irgendeinen Schatten stellen wollte oder nochweniger mit meiner Reise angeben wollte.

Doch eines ist mir bezüglich der nun mir sehr viel entgegenfahrenden Radreisenden aufgefallen. Wenn ich während des aufeinander Zureitens, einem Gesicht versuchte, die Essenz dessen emotionalen Zustands zu entnehmen und hierbei oftmals nicht im Vordergrund die Freude erkennen konnte (z.B. grimmige Gesichter), machte es mir in diesem Kontrast immer wieder klar, dass ich mit dieser Reise genau das Richtige mache. Denn ich hatte nach all diesen Tagen und Kilometern immer noch so viel Spaß am zweirädrigen Vorankommen und das eigentlich immer wieder jeden Morgen oder bereits jeden Abend bevor ich meine Augen schloss. Und dazu gehören auch all die kleinen und mittelgroßen Unannehmlichkeiten und Widrigkeiten. Denn es ist ein gutes Gefühl, ein selbstbestärkendes Gefühl auch diese durchzustehen und man merkt, wie die Toleranzschwelle mit jedem Mal ein klitzeklein wenig weiter nach oben geschoben wird. Und ganz oft war es auch ohne die kleinsten Abstriche einfach nur schön auf dem Rad durch die Natur zu rollen und sich selbst und den Moment zu genießen.

Seitdem ich in Europa bin, lande ich irgendwie morgens 1 Stunde früher auf dem Rad. Vielleicht war es die neue Zeittzohne. Was bedeutet, dass mein Gesäß und dessen liebgewonnener Kuschelpartner, der Sattel, bereits zwischen 7 und 7:30 Uhr aufeinander trafen. So mag es einen Anteil von Eintönigkeit haben viele Kilometer auf dem Donaudamm abzuspulen, doch besonders in den Morgenstunden hat diese Eintönigkeit, gepaart mit dem Erwachen der Natur einen sinnlichen und zufriedenstellenden Charakter.

Während ich auf dem Auflieger liegend, mit circa 30 km/h über den gut asphaltierten Damm fliege, hier ein Storch oder Seeadler, da ein Wildschwein oder sonstige mir nicht namentlich bekannten Vögel sich zeigten, auf den Ohren ein Radiohead Album, mein Bauch bereits gut gefüllt, mit einem Porridge und einer großen Tasse Kaffee, ist es eine Leichtigkeit, die Gedanken rückblickend auf meine Reise, aber auch vorausschauend, auf das Ankommen in Deutschland, schweifen zu lassen.

Denn immer wieder schoss mir in den Kopf wie dieses Ankommen denn wohl sein wird. Wie werde ich mich wieder Zuhause zurechtfinden. Menschen warten auf mich. Ein wenig hatte ich schon Angst, dass mich das alles, dass mich die Menschen überfordern werden.

Durch Ungarn, mit einem kurzen Stop in Budapest, weiter durch die Slowakei, meine ersten Bezahlungen in Euro und schließlich angekommen in Wien, wo alle Menschen um mich herum nun auch Deutsch sprachen, war es in meinem Kopf dann nicht mehr zu verdrängen, dass ich kurz vorm Ankommen bin. Kurz vor dem Beenden meiner Reise.

Ich legte nochmal eine Pause in Wien von ein Paar Tagen ein, was auch dem zu verschulden war, dass ich mir nach dem Durchreisen all dieser Länder nun ausgerechnet in Wien irgendetwas eingefangen oder falsches gegessen habe, was in meinem Magen mit ziemlichem Tumult und Fieber resultieret.

Trotzdem fand ich aber etwas Zeit mir die schöne Stadt Wien anzuschauen.

Einen Stop auf meinem Heimweg, hatte ich eigentlich schon kurz nach dem Aufbrechen im März in meinem Kopf. Denn Jonas Deichmann, hatte ein paar Wochen nach meinem Abrollen in Roth seinen Weltrekord begonnen, 120 Tage an jeden Tag einen vollen Ironman zu absolvieren. Da es möglich war ihn bei all seinen Touren ganz oder auch nur zum Teil zu begleiten, ging ich also schon eine ganze Weile mit dem Gedanken schwanger, dass ich mit einem vollbepackten Rad, ihn auf einem Teil seines Weltrekordvorhabens begleiten könnte.

So kam es also dass ich nach einer Nacht in Regensburg, mich Richtung Roth schob. Circa 10km vor meinem Ziel und dem Ort an dem Jonas jeden Tag seine Mittagspause macht, sah ich weit vor mir eine große Gruppe Radfahrer. „Das müssen sie sein“, dachte ich mir, und drückte mich mit all meiner Kraft in die Pedalen, um gemeinsam mit der Truppe zur Mittagspause einzurollen. Ursprünglich war der Gedanke, dass ich ein wenig Gepäck von meinem Rad ablege, um die 90km Tour, mit all den Carbon-Flitzern mithalten zu können. Es hatte mich dann aber gepackt. Warum nicht mit meinem 50kg Bock die Runde mitrollen. So tat ich es dann auch, was zudem auch nicht ganz unbemerkt geblieben ist. Und ja, der ein oder andere Anstieg den wir hatten, lies meine Beine doch etwas mehr glühen als die der anderen Mitfahrer an diesem Tag. So beendete ich diesen Tag dann mit über 220 km und 2000 hm auf der Uhr. Aber zufrieden. Zufrieden dass mal wieder ein weiterer Tag zu Ende ging an dem „Es“ einfach funktioniert hat. Alles lief gut und ich konnte mit einem guten Gefühl diesen Tag beenden.

Manchmal konnte ich es einfach nicht glauben oder erfassen, dass all diese Kilometer, all diese Momente, Begegnungen und Herausforderungen so gut verliefen und mir jeden Tag aufs neue so tolle kleine und große Bereicherungen bereitete. Bestimmt liegt es auch daran, dass ich nicht sonderlich anspruchsvoll, genügsam und offen in die Welt trete. Doch eigentlich kann das statistisch doch garnicht sein, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Sturz oder sonstige aus meiner Sicht nennenswerte Probleme hatte. Nun hatte ich keine 300 km mehr vor mir, bis ich wieder in meiner gewohnten Heimat und Zuhause sein sollte. Diese Emotionen und die Aufregung, gepaart mit der gegenwärtigen Herausforderung der Adaption an die Deutsche Umgebung, waren so gewaltig, dass ich mich schon fast taub gefühlt habe und ich „all Das“ was nun in den nächsten Tagen vor mir lag, bereit war, einfach über mich ergehen zu lassen.

Ich merkte jedoch, dass ich mit breiter Schulter und mir einer in mir ausgeprägten Gelassenheit bereit war diese Reise zu einem Ende zu bringen.

PS: Mindestens einen Beitrag werde ich hier noch über meine letzten Meter des Ankommens und über das Wiedereinleben in der Heimat schreiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare

Eine Antwort zu „Die Reifen zurück auf europäischem Boden“

  1. Klaus P. Nicklas

    Lieber Simon,
    Du landest in meinem persönlichen Guinness Buch der Rekorde auf der allerersten Seite.
    Dein Papa 😘